Reiseleiter/innen, nehmt Euch vor und nach Euren Einsätzen Zeit, für Euch selbst zu reisen. Die unorganisierte Sichtweise ist ganz anders. Viel kann daraus wieder für den Job gelernt werden. Diese Reiseart entspannt ausserdem Ungemein und es kann wieder Energie für die nächste Gruppe geschöpft werden. Auch ist es wieder eine Möglichkeit Menschen kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen. Es ist eine andere Art Leute, die man so trifft und daher sehr bereichernd und ergänzend.
Nachdem ich mich endlich ausgeschlafen hatte, meldete ich mich dann am Vormittag bei meiner Gastgeberin, bei der ich ein paar Nächte verbringen sollte, um ihr mitzuteilen, was ich vor hatte. Da ich keine Antwort bekam, musste ich umplanen.
Es schien alles ganz gut geplant: Das Gepäck auf Rädern, zeitsparend gegen mittag raus aus dem Hotel, um dann mit der Tube zum Markt zu fahren, wo die Gastgeberin heute arbeitet. Dort wollte ich mir ihren Wohnungsschlüssel holen, das Gepäck in ihre Wohnung bringen, um danach wieder raus zu gehen, bis sie nach Hause kommen würde. Es kam etwas anders. Wie es zum Reisen so dazugehört, wurde ich überrascht. Erst mal stellte sich der Weg zum Markt viel mühsamer dar, als erhofft. Nicht alle U-Bahnstationen waren mit einem Aufzug, oder Rolltreppen ausgestattet, sodass das Gezerre des schweren Koffers, der für einen Monat gepackt worden war, und dem zweiten kleineren Rollkoffer mit elektronischen Utensilien, richtig kräftezerrender wurde und auch noch im Rücken schmerzte. In Hammersmith sollte der besagte Markt sein, den Platz hatte sie mir bei unserem letzten Treffen gezeigt.
„Jetzt wird es Zeit, ich kann mit keinen Treppen mehr umgehen.“,
dachte ich, als ich schliesslich in Hammersmith aus der Underground stieg. Ich zog diesen Kasten also zu dem Platz, den ich in Erinnerung hatte. Dabei gab es Bordsteinkanten zu überwinden und die Augen vor dem Staub zu schützen, der vom starken Wind dorthingeblasen wurde. Zum Stechen in den Augen spürte ich gleichzeitig die warme Sonne ab und an auf dem Kopf und den Schultern, wenn sich mal eben kurz die Wolken von dieser wegschoben. Der Strassenmusikant, welcher vor der Station stand, war noch weit inmitten des restlichen, zusätzlichen Stadtlärmes zu hören. Er hatte lediglich eine ca. 1 m X 0,5 m grosse, altmodische Box aufgestellt, durch die er schlechte Heavy Metal Musik jagte. Hier wimmelte es von Menschen und ich sah vor lauter Leute die Menschen nicht. Die kleinen Räder des Koffers blieben in den Ritzen der Betonfliessen manchmal hängen und das Rauszerren derselben nervte.
Nach einem kurzen Weg, der jedoch 10 mal länger schien, als er tatsächlich war, kam ich dann bei dem besagten Platz an. Er war leer. Ganz leer. Kein einziger Marktstand war zu sehen.
„Hm. Das kann ja nun nicht sein. Die wird ja wohl nicht geschwindelt haben? Nein. Wozu auch. Erinnere ich mich nicht richtig? Hatte sie damals nur gesagt: ‚... in der Gegend‘?“
Ich rollte also die beiden Gepäckstücke etwas in der Gegend herum, bis ich mich dann nach einiger Zeit einfach auf eine Bank setzte und meine Nachrichten checkte. Da war nichts dabei.
„Na gut. Denk logisch.“
Dann googelte ich mit dem Stichwort „luggage storage“ noch ein bisschen herum. Tatsächlich. Da gab es was. Ich fand also sogleich in der Gegend ein paar Leute, die Ihren Platz via eines Apps, ähnlich AirBnB, für Gepäckaufbewahrung zur Verfügung stellten.
„Aber wenn es das hier gibt, dann sicher auch in der Gegend, in die ich ohnehin muss... .“
Siehe da, ein paar Klicks mehr und auch dort vor dem Umsteigeort von der Underground in einen Bus war noch eine Adresse gut gelegen.
Bei der Station „Notting Hill Gate North“ zerrte ich nochmal schweisstreibend das Zeug über weitere 2 Stockwerke hoch. Hier, endlich überirdisch, öffnete ich Google Maps und latschte zu der vorbezeichneten Adresse. Unterwegs hatte ich noch festgestellt, dass ich erst per Kreditkarte bezahlen muss. Soweit kein Problem, aber die Adresse war nicht zu finden. Kein Eingang, der zeigte, dass dies die gewünschte Adresse wäre. Es gab Geschäftslokale aller Art: Fast Food, Second Hand Klamotten, Boutiquen mit Schmuck, Kaffees, ... . Ich ging noch ab und zu auf und ab, bis ich endgültig aufgab.
Ich nahm nun also den Bus zu meinem finalen Ziel. Plan hatte ich keinen.
Dort angekommen klingelte ich erst mal. Nichts, wie erwartet.
Nun leutete ich einfach mal bei der Klingel, die zu der Wohnung direkt darunter im Erdgeschoss gehörte. Ich könnte ja die Koffer einfach vor der Wohnungstüre stehen lassen, wenn mich erst mal wer ins Haus liesse. Nun wurde die Türe geöffnet und ein schlanker, junger Herr mir dunklem Haar und dunkler Haut öffnete mir die Türe und schaute mich fragend an. Erst mal wusste ich auch nicht, was ich ihm erzählen sollte:
„Yea, sorry, I'm from the continent. Ehr. Would you have accomodation for me, please?“
... ein Gedanke, der schnell verpuffte. Nein, ich besann mich und setzte erst mal mein bezaubernstes Lächeln auf und wollte vorerst mit der Wahrheit rausrücken:
„Hy.“
„Hello.“ Antwortete er und schaute noch fragender. Nun war es wohl an mir, die Situation irgendwie etwas normaler wirken zu lassen:
„I am visiting your neighbour. She lives on top of you.“
Dann erst mal Pause. Das reichte noch nicht wirklich, also fuhr ich fort:
„Yes, ah, she is supposed to come home later. I would like to go out in the meantime. So, er. May I leave my luggage in your place in the meantime?“
Das war gar nicht mal mein Plan, aber es kam einfach so raus.
Er reagierte sofort, kam mir entgegen, es waren noch 4 Treppen zwischen Haustüre und mir:
„Yes, sure, of course.“ Sogleich griff er nach meinem grossen Koffer:
„Can I help you?“ Ohne eine Antwort abzuwarten schnappte er sich den Koffer und schleppte ihn ins Haus. Ich war sehr froh, erleichtert und sprang hinterher:
„Oh, thank you so much.“
An der Haustüre angekommen, fragte er mich, ob ich nicht mit hineinkommen möchte. Er wäre zwar gerade am kochen, würde mir aber gerne einen Tee anbieten. Ich nahm an, kam mit. Während er weiter schnitt, rührte, schlürfte ich an meinem Tee. Wir unterhielten uns prächtig. Er war auch sehr offen und erzählte schnell viel Persönliches. Irgendwann regte ich dann an zu gehen und er bot mir an doch mit ihnen zu Abend zu essen.
„I‘m sorry for my girlfriend, but she desperately needs to watch soccer. But she will join us, when I‘m done cooking. I myself, I don‘t like football.“
Ich war mir nun nicht sicher, was ich tun sollte, da ich ja auf meine Gastgeberin wartete und ja eventuell mit ihr essen wollte/sollte. Er bemerkte mein Zögern und meinte:
„Have you ever had Ethiopian food?“
Ich musste gestehen, dass ich das nicht hatte. Ich war ohnehin hungrig, dachte kurz darüber nach; ich war neugierig und es roch auch noch so gut:
„No, never. It smells great! What is it?“
„In this case it is vegetarian. There is going to be Ethiopian bread with it.“
Nun wurde ich noch neugieriger:
„Sounds great. I‘m just not sure, when my host is going to be back.“
Ganz neutral meinte er darauf:
„Think about it. It takes a while anyway. Do what you need to do and you can come back later and when my girlfriend is done watching football we can eat together.“
„Thank you. So, ok. I’m gonna go for a walk and will be back in a while. I gotta pick up my stuff anyway.“
„Ok, see you then.“
„See you, thanks.“
Ich latschte also etwas herum, die Gegend kannte ich ja schon von meinem letzten Besuch und als ich zurückkam, war mein Hunger noch grösser. Wieder leutete ich an der Tür und abermals wurde ich freundlich hineingebeten. Alles sah in der kleinen, äusserst einfach ausgestatteten Wohnung etwas improvisiert aus. Aber diese Freundlichkeit und Ruhe des Hausherren und später der Hausherrin, strahlten Gemütlichkeit aus. Es roch nun noch besser. Nach ein paar Sätzen kam eine junge, schlanke Dame aus dem Nebenzimmer. Der Teint war gleich wie die, des jungen Herren. Sie begrüsste mich sehr freundlich und schon gleich begann ein angeregtes, offenes und herzliches Gespräch über das Herkunftsland der Beiden, Äthiopien. Bald servierte ihr Freund das Essen. Das Gemüse in Sauce und besonderen Gewürzen wurde mit dem dünnen Fladenbrot vom Teller genommen und dann so in den Mund geschoben. Es war lecker. Ich lernte dabei, dass diese dünnen Fladen sogar vegan waren. Ein besonderes Getreide aus Äthiopien, das ohne Milch zu einem Teig gemacht wurde. Sogar glutenfrei sei es.
„Are Ethiopians vegetarians?“
„No. Just the bread is eaten that way. But also with meat.“
„What kind of meat do you eat?“
„Beef and a lot of chicken.“
“And the bread?“
„Made of an Ethiopian wheed and water.“
„Special. Nice taste. Different. Very good.“
„So you like it?“
Es war schön zu sehen, wie sie sich freuten, dass es mir schmeckte.
„Yea, a lot.“
Und das meinte ich auch so. Es ist schwer zu beschreiben WIE es schmeckte, aber es war SEHR gut und einfach mal anders. Die Grösse und Konsistenz war mit Crèpes, oder Palatschinken zu vergleichen. Die Farbe war regelmässiger, als beim europäischen Äquivalent und irgendwie grauer. Das Gemüse duftete und die Sauce war auch sehr lecker und etwas scharf. Ich fügte noch hinzu:
„I never had Ethiopian food. I must admit, that I don’t know much about Ethiopia at all.“
Jetzt nahm die junge Lady wieder an der Konversation teil:
„Well, Europeans generally don‘t know much about Africa, whereas Africans learn about European culture.“
„It‘s true. I don‘t know much about Africa. It isn‘t really on the syllabus in our schools.“
„You Europeans just don’t NEED to know about Africa. All you know, is all you need. We just have to know more. It is simply economic. Economic power determines what you know, what you need to know. If Africans want to become wealthier, they need to understand how the Europeans are doing.“
„Sounds logical.“
Etwas beschämt war ich schon. Es stimmt ja auch, dass die meisten von uns vergleichsweise wenig über Afrika wissen. Wir könnten schnell mal in etwa einordnen, wo sich ein amerikanischer Bundesstaat befindet, aber die afrikanischen Staaten kommen uns teilweise noch nicht mal vom Hörensagen her bekannt vor.
Der Koch behielt die Situation, das Gespräch genau im Auge und auch, ob wir alle noch genügend am Teller hatten.
In mir kam noch eine Frage auf:
„How is the ethiopian school system?“
Sie freute sich über mein Interesse und antwortete:
„Very good, it is very good, we learn a lot.“
„As far as we know over here there is a lot of poverty in Ethiopia and we get the impression, that there isn’t much schooling at all.“
„Well, we were privileged and could go to school. So let’s say that those who are able to go to school get good schooling. Our system is unfair. Many people don’t have a lot of chances.“
„It is clearly also our fault. We want to consume cheap stuff and keep the global system of exploitation going.“
„I am impressed, that you realise and admit that point.“
„It simply is a fact.“
„I would love to see a wealthier Ethiopia in the future, one with chances for everyone.“
Nun klinkte auch er sich in das Gespräch ein:
„You know, over here people don’t think about money they spend. In our country 100 Pounds are a lot of money. Over here we don’t think a lot about where things come from and who produced what. Everything is cheap.“
Auf meinen neuen Hut schielend entgegnete ich, als wäre ich gerade ertappt worden:
„It is true. Instead of helping someohne with these 20 Pounds, I just spent them, without thinking.“
Sie bedankte sich für meine Offenheit. Es tat gut, der Sache mal etwas auf den Grund zu gehen. Es ist ein ganz anderes Gefühl über solche Dinge mit Leuten zu sprechen, die aus einem, wie wir es nennen, Entwicklungsland kommen, ein Begriff, den die „entwickelten“ Länder prägten.
Nun war aber ich an der Reihe ein paar Fragen zu beantworten:
"What would you recommend?: We want to travel in Europe. Where should we go first?"
Ich muss zugeben, eine schwierige Frage, zumal Europa ja so vielfältig ist und alle Länder so ihre Reize und Nachteile haben. Davon sprach ich ein bisschen und was ich gesehen hatte, was ich besonders an gewissen Ländern schätzte.
Wir assen auf, die Stimmung war weiterhin gut, offen und wir tauschten Nummern aus. Auch wurde ich eingeladen und freute mich über eine Gegeneinladung. Zurück blieb das gute Gefühl aufgenommen worden zu sein, etwas neues gelernt zu haben und es hielt noch lange an. Ich bin positiv angetan, dass ich mich überwunden habe und einfach den Klingelknopf gedrückt habe. Es ist einfach so schön an eine fremde Haustüre klopfen zu können und schon hat man Gesellschaft, Essen, gute Gespräche, einen erweiterten Horizont und ein Dach über dem Kopf.
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