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Beamtenschimmel

Was will dieses Weib? Ich scheisse auf sie! Ich hasse meinen Job, ich verachte diese Frauen. Ich habe ihr vorher klargemacht, dass das nicht geht. Diese beschissene Klugscheisserin meint zu wissen, wie mein Job funktioniert. Wenn ICH sage, es läuft nicht, passt es eben nicht. So sind die Dinge in diesem Amt hier. Sie sucht meinen Lakaien. Der war zu freundlich zu ihr letztens. Er sollte sich nicht dreinmischen. Nur weil er eine Fremdsprache spricht, ist er nicht der Boss. Wieder gedenkt sie mit ihm zu reden. Als ob das einen Unterschied machen würde. Ich drehe der Lästigen den Rücken zu. In der Zeit kümmere ich mich um wichtigere Aufgaben.
Hinter ihr häufen sich weitere Kundinnen. Leute, die meine Sprache sprechen. Menschen, die in diesem Land Steuern bezahlen und meine Aufmerksamkeit verdienen. Sie steht da. Zwischen uns ist das offene Fenster, sonst nichts. Wenn ich es jetzt schliesse, wird sie mich ansprechen, antworten kann und will ich ihr nicht. Früher hätte ich es verriegeln müssen. Ich spüre förmlich ihren Blick. Sie hat mich schon angestarrt, als sie herkam.
Es ist Monatsende. Die anderen wollen ihre Rabattkarten abholen. Sie sind gezwungen, nur wegen der zu warten. Wie ungerecht die Welt ist!
Durch die Tür gegenüber meines Schreibtisches, auf die ich exakt sehe, kommt die Mitarbeiterin von draussen von der Mautstelle herein. Sie hat eine Frage. Schnell beantworte ich sie und füge hinzu:
„Wimmle die hinter mir ab.“
Die dunkelhaarige natürliche Schönheit, die in der Autobahnuniform ein scharfes Bild bietet, schaut kurz fragend zum Fenster. Dort erblickt sie die haselnussbraune, lockige Touristin, deren weisse Haut ihre bernsteinfarbenen Augen hervorstechen lassen. Offenbar wird die Lady mir gegenüber angelächelt, denn sie beginnt ihrerseits zu strahlen.
„Sag ihr einfach, dass das nicht geht. Sie muss beweisen, dass sie hier wohnt und dazu braucht sie eine Adresse.“
Ein paar unverständliche Sätze werden gewechselt, als meine Mitarbeiterin meint:
„Sie sagt, sie hat eine Adresse.“
„Ja, aber das ist keine permanente Adresse.“
„Sie sagt schon.“
„Ich will einen Beweis.“
„Ja, sie sagt, sie hätte einen Beweis. Nur eben nicht die, von ihnen verlangte Stromrechnung, weil Energie bei ihr in der Miete inkludiert ist.“
„Sag ihr einfach, es geht nicht!“
Mann, was soll das! Ich funkle sie an. Sie darf nur übersetzen, sich nicht wichtig machen. Weiber.
„Ja, klar.“
Mann, diese Unterwürfigkeit. Noch beschissener.
„Entschuldigen sie, aber sie würde bitte gerne mit dem Andreas sprechen. Das ist doch der Herr, den sie meint, oder? Mit dem hatte sie das letzte Mal gesprochen und der hatte gemeint, es ginge, er hätte ihr erklärt wie.“
„Es geht nicht und pasta. Schicke sie weg! Aus!“
Gleich explodiere ich. Jetzt reicht’s:
„Verschwinde auf deinen Arbeitsplatz!“
„Ja, sicher, auf Wiedersehen.“
Dicht hinter ihr verlasse ich das Büro und knalle die Türe zu. Ein Stück blättert vom Verputz neben dem Türstock ab. Es ist mir egal. Eine Frechheit ist es, mich hier in dem modrigen Zimmer über Jahrzehnte sitzen zu lassen. Das Holz der alten Pulte hat schon Schimmel angesetzt und die Stühle dafür gesorgt, dass ich Haltungsschäden habe. An meinen Zettelfächern sind die Ecken abgebrochen. Unter dem Tisch rechts, der mit meinem Arbeitspult ein „L“ bildet, ist eine Schreibmaschine, die die Heimat für die schnellen Springspinnen mit dem gestreiften Körper geworden ist. Einen Computer hatten sie mir hinstellen wollen.
„Viel leichter wird die Arbeit für sie.“ Hat so ein junger Nachwuchsschnösel gemeint, der von der Hauptstadt aus offenbar die Büroausstattung der letzten Ecken des Landes steuert. Arschloch. Dazu hätte ich einen Kurs gebraucht. Einfacher. Dass ich nicht lache. Eine klare Sache sollte es werden: Als Beamter meine fixe Position, unkündbar, Boss meiner Abteilung. Ja, weg kriegen mich die nicht. Mit der Zeit sollen wir gehen. Schwachsinn. Sodass dann so ein Schwachkopf die Daten der Bürgerinnen im Internet klaut?

Ich verlasse das Gebäude, verschwinde flink ums Eck. Auf einmal fühle ich mich wie ein Fuchs. Im Gegensatz zu meiner, im Laufe der Beamtenjahre angesammelten, runden Wampe, die von muskellosen Beinen getragen wird und meinen lila Augenringen, zeichnet mir mein kurzfristiges, übersteigertes Selbstbewusstsein ein Bild von einem Superman. Allerdings gefällt mir die dunkle Seite der Macht besser. Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf mein Opfer. Das Lamm stapft sauer und unverrichteter Dinge zu ihrer staubigen Rostlaube zurück. Warum sie hinten auf unserem Parkplatz stehen muss. Genug Gebüsch, sodass ich unerkannt bleibe. Dass die tätowierten Nichtsnutze von Hochschulabgängerinnen hinter den Bildschirmen nichts mitbekommen, lässt die Kameras rund um das Gebäude zu reinen Landeplätzen für Tauben verkommen.
Du kannst Verantwortung übernehmen. Sei nicht blöd, du bist ein Mann. Du bist kein Sprachtalent. Du wirst das nie lernen. In einem Hotel versumpfen an der Rezeption wie eine Frau? Schwachsinn. Du bist eine Person mit Penis!
Ich schüttle den Kopf und verscheuche die Geister der Vergangenheit wieder. Ich habe getan, was nötig war und ich tue, was ausgeführt werden muss. Ahnungslos latscht sie zu ihrem Fahrzeug. Sie schüttelt den Kopf, murmelt etwas vor sich hin. Ich fixiere sie mit meinen gierigen, nach Rache ächzenden Augen, setze einen Fuss vor den anderen wie eine streunende Katze in einem, von Menschen verlassenen Revier, die sich an eine lang ersehnte Maus ran schleicht.
Ich habe die Kinder gerne gemocht. In der Rolle des Grundschullehrers, oder Kindergärtners hätte ich mich ebenfalls gesehen. Aber nein: Dazu sind nur Frauen fähig. Du hast keine Sozialkompetenzen. Nun denn: Hier bin ich.
Während sie das nächste Mal ihre Augenlider schliesst und öffnet, schnappe ich mir einen Stein vom Parkplatzrand, rase auf sie zu. Sie hat keine Zeit zum Nachdenken, geschweige denn zu reagieren. Einen weiteren Augenaufschlag später bekommt sie die tote Materie über ihren Schädel geschleudert. Jetzt hängt sie mit dem Oberkörper auf der Motorhaube, halb im Dreck. Meine Phantasien werden geweckt: Was ich alles mit ihr anstellen möchte. Meine ganze, meist verschwendete Manneskraft an sie spenden. Keine Hemmungen hätte ich, nicht die geringsten Schwierigkeiten. Aus meinem Mund trieft Speichel. Die Hose wird im vorderen Teil um den Reissverschluss unter dem Gürtel enger, ein leichtes Kribbeln im Bauch. Ich brauche aber Zeuginnen für meine Unschuld. Flott verscheuche ich meine Lust und suche beschleunigten Schrittes das Bürogebäude auf. Dort angekommen stelle ich fest, dass niemand im Gang mit den Toiletten ist. Ich gehe auf diese, entleere schnell mein Geschwulst, mache etwas Lärm und lasse die Türe knallen, sodass die Kolleginnen vom Büro im gleichen Trakt genau wissen, dass ich da gewesen sein werde.
Am Abend mache ich es mir auf meiner Couch mit Taschentüchern bequem, lasse den Arbeitstag Revue passieren und amüsiere mich. Niemand wird eine dumme Touristin vermissen.

 

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