Ihre Gesichtszüge sind verzerrt, weitere Worte bleiben ihr im Hals stecken, als sie die Szenerie sieht. Im Gehege liegen überall Fleischfetzen verteilt und der Geruch, der ihr verrät, dass da
einige Stücke länger in der Sonne lagen, lösen über die Nase kommend ein Würgegefühl aus. Streit, verbale Gewalt während der letzten 2 Tage lassen sie energielos zurück. Gerne hätte sie den Rasen
im Garten gemäht, oder die Bäume etwas geschnitten, Früchte geerntet. Eine Arbeit, die ihr sonst eine gewisse Befriedigung gibt, die sie in einen Flow-Zustand versetzen. Die Arme hängen nach
unten, genau wie ihre Tränensäcke und die Mundwinkel, als ihr Mann sich von den Hunden umdreht und sie diabolisch angrinst. Er ist dabei, seine Tiere zu erziehen, wie er es nennt. Er kennt den
Unterschied zu Misshandlung nicht. Selbst bei der Arbeit wird er täglich bestätigt, richtig zu liegen, weil es beim Militär, vor allem in seiner Einheit, wichtig ist, Befehle zu geben, sie
auszuführen und den Willen anderer zu brechen, die meinen, dieser wäre von Wert.
Sie sieht, wie er mit der Lederleine abermals ausholt. Wieder geht diese hart auf das Tier nieder. Die Blutflecken sind am sonst beigen Fell der belgischen Schäferhündin besser zu sehen, als es
bei ihrer artverwandten Deutschen wäre. Sie ist zwar nicht gross für ihre Rasse, aber trotzdem, dass sie kräftig ist, wehrt sie sich ihrem Herrchen gegenüber nicht. Ihr verschmutzt weisser
Gefängnisgenosse liegt halb benommen in einer Ecke. Hilflos starrt die Ehefrau des Peinigers ihn an. Der helle Vierbeiner tut ihr leid, zumal er ein wohlmeinendes Kerlchen geblieben ist in all
den Jahren. Wie ein Wollknäuel hatte er ausgesehen, als sie ihn damals in Gestalt eines Welpen von der Strasse auflasen. Derweilen ist ihm die Wolle über die Augen gewachsen. Die Schlappohren,
die immer noch flauschig wirken, lassen ihn neben seiner dominanten Genossin freundlicher aussehen, obwohl er grösser ist. Gewehrt hatte er sich nie. Weil er der Zweite war, der hier seitlich dem
Garten auf den 12 Quadratmetern an der Strasse eingesperrt wurde, hat er sich dem Schicksal ergeben, immer der Rangniedrigere, oder Verzichtende zu sein. Um die Hundedame drehte sich alles, die
mehr und mehr zum Spiegel ihres Herrchens wurde, der nicht mal in den 2 kurzen Tagen, in denen er von seiner Frau besucht wird, sein wahres Gesicht verbirgt. Tarra sieht ihn als ihren Retter. Vor
dem Leben hier hätte sie zu einer Kriegshündin erzogen werden sollen. Da hatte sie schrecklich Angst gehabt, aber als sie ihr Gebieter aufnahm, fand sie den Sinn ihres Daseins. Auf den Rücken
warf sie sich, um zu zeigen, wie ernst es ihr damit war. Wenn er kam, war sie aufmerksamer wie sonst. Sie verteidigte das Grundstück und das Haus. Es gefiel ihm, dass sie ihn zum Rudelführer
auserwählte und so sorgte er dafür, dass es so blieb. Er hatte es nicht ertragen, wenn jemand versuchte, sich Tarra anzunehmen. Ein Stückchen Wurst und sie wurde weich. Das hatte er ihr flott
ausgetrieben. Seine Körperhaltung wurde immer von Tarra gelesen und auf ihre hündische Art interpretiert. kam es, dass sie die Hausherrin zähnefletschend vom Käfig vertreibt. Die totale
Unterwerfung. Er zeigt auf seine Frau und sie beginnt den Angriff. Die, die ihm die Töchter wegnahm. Diese waren lange seine Fans. In der Zwischenzeit sind sie aus dem Haus. Will sie ihm die
Bewunderung der Hunde nehmen? Wie tief sie doch gesunken war, ihm gar nichts zu gönnen:
«Komm herein, es ist genug.»
«Was weisst du davon. Du bist ja nie hier!»
«Ich sehe es.»
«Hellseherin, was?»
«Ich spüre es förmlich!»
«Uuuhhh. Du spüüürst es!» Dabei setzt er sein verächtliches Grinsen auf.
«Ja, mein Herr, es reicht.», scheint der Hündin durch den Kopf zu spuken. Sie versteht nicht, was er möchte, ausser der absoluten Kontrolle und Unterwürfigkeit. Sie war nur still der Mieterin
gegenüber, wenn er nicht da war. Er konnte es nicht gesehen haben. Er ignoriert den Blick seines dominanten Tieres ebenso, wie die Friedensversuche seiner Frau. Sein Dreinschauen ist starr und er
ist in einer Art Trance, wenn er an die Szenerie zurückdenkt:
«Gerne hätte ich mich mit Ihnen über Ihre Tarra und den Bodo unterhalten.»
«Ach so, was wollten Sie denn wissen?»
«Na, wie sie hierher gekommen sind.»
«Tarra ist böse.», warf seine Tochter und Übersetzerin ein.
«Nicht, wenn er nicht da ist. Da verhält sie sich ganz anders, legt ihre Ohren fragend an und ist zahm. Sie bellt mich nur an, wenn er in der Nähe ist. Ich sehe am Blick der Hundedame, ob er
schon zu Hause ist, oder nicht.»
Diese Erklärung der Mieterin war das Ende des Friedens. Sie bekamen die Kündigung und das blöde Vieh die Rechnung.
Die zahlende Hausmitbewohnerin hat die Veränderung bemerkt. Monatelange Arbeit und Tierliebe wurde mit zahllosen Schlägen zunichtegemacht. Sie hielt sich fortan vom Zaun, der sie vor den scharfen
Zähnchen schützte, und den Vermieterinnen innerhalb der Kündigungsfrist fern.
Er schritt ungeachtet mit seiner Züchtigung fort.
Nach einer weiteren halben Stunde des Aggressionsabbaus schreitet er ins Haus. Er ist gelangweilt, aber ebenso müde. Sie kommt nicht mehr an ihn ran und so fährt sie 120 Minuten früher als sonst
wieder in ihr Wochendomizil, von dem aus sie ihrem Job nachgeht. Ihn lässt sie zurück in seinem Junggesellenchaos, dem sie sich in der kurzen Zeit hier nicht mehr annimmt. Sie braucht ihre Kräfte
für ihr eigenes Leben.
Als es dämmert, schnappt er sich erneut die Leinen und schreitet auf das Tor der beiden, einst heimat- sowie harmlosen Geschöpfe zu. Er ist fürsorglich, nimmt zwar die Lederriemen, geniesst aber
das Schwanzwedeln und die offensichtliche Freude der Tiere. Sogar ein Fresserchen haben sie bekommen, das Fleisch hatten sie lange verschlungen, bevor sie starteten. Die Hunde sind wie
ausgewechselt. Lächeln förmlich. Ein Öhrchen lässt Tarra hängen. Als wäre es ein anderes Vieh, eines vom Streichelzoo. Die Haustierpsychologin würde Schizophrenie diagnostizieren.
Er sieht Spaziergängerinnen, die er herzlich grüsst. Sogar ein paar Worte wechselt er mit ihnen. Den neuen Mieterinnen, Allah sei dank schwerhörig, bringt er nach dem Ausgang mit seinen
Schützlingen den übrigen Kuchen, den seine Angetraute vorher gebacken hatte.
Am darauffolgenden Tag begibt er sich wiederholt ins Tiergehege. Wieder das gleiche Ritual: Streicheleinheiten und Schläge wechseln sich ab. Er bewegt sich nach dem Mittagessen 2 Stündchen zur
Arbeit. In der Zeit kommt eine Joggerin vorbei. Es ist ca. das fünfzigste Mal, dass sie der belgischen Schäferdame ein Leckerli geben möchte. Zu dem Zeitpunkt, als diese sich dem Zaun nähert,
zieht sie den Schwanz ein. Der Rüde liegt am anderen Ende in einem Eck und beobachtet wie ein unbeteiligter Zellengenosse die Szenerie. Die Ohren legt sie zurück, das Weisse am unteren Rand ihrer
Sehwerkzeuge kommt zum Vorschein. Die Laufende schaut fragend drein, schreitet näher. Die Vorfahrin der Wölfe trabt am Zaun auf- und ab und lässt die Fütternde nicht aus den Augen. Die Frau ist
furchtlos, nähert sich, steckt die Hand mit dem Hundekeks durch die weit auseinandergebogenen Zaunlücken. In innerhalb von 2 zehntel Sekunden springt die Gefütterte aus dem Stand so hoch, dass
der Kopf über den Zaun ragt. Den Keks hatte sie davor so flink verschlungen, dass es nicht wahrnehmbar war. Der Maschendraht schützte schliesslich die Dame und das Haustier streckt die
Vorderläufe vor. Zwischen dem einen und dem nächsten Bellgeräusch ist kein Abstand. Ihr Ausrasten erschreckt das diskriminierte Geschlecht der Menschenrasse in dem Mass, dass sie zu zittern
beginnt. Ihr Herzschlag setzt kurz aus, ihre Augen weiten sich. Sie bleibt einen Augenblick am Zaun stehen, kann es kaum fassen. Sie spricht, die Angesprochene hält einen Moment inne, legt den
Kopf schief. Während sich die menschliche Gestalt wieder entspannt, startet der Angriff erneut. Der andere, Friedlichere hier, soll etwas bekommen. Die Spenderin hat mit ihren Lockversuchen keine
Chance, daher wirft sie ihm ein Stück zu. Die Chefin ist blitzschnell dort, wo es am Boden aufkommt, verschlingt es und macht dem leer ausgehenden mit gefletschten Zähnen klar, dass es ihres ist,
ihm geraten wäre, sich zu verziehen. Die Werferin bekommt einen Schreck durch Knurr-Bell-Gebärden an sie gewandt.
Verwundert und eingeschüchtert latscht sie weiter. Knurrend zieht sich die aufgeregte, pelzige Gestalt in einen Winkel ihres Reiches zurück. Sie war zufrieden. Ihren Job hatte sie erledigt, was
ihr Herrchen begeistern würde, und ihren Snack hat sie trotzdem bekommen. Irgendwie hätte er es sicher nicht zum ersten Mal erfahren, wenn sie zu zahm geblieben wäre.
Nach Feierabend, so findet er, müsste er sich um seine Alphafrau kümmern. Es darf nicht sein, dass sie untreu wird. Sie sieht ihn kommen. Von Neuem mit diesem Blick, wieder mit dieser alten
Lederleine. Was hat das zu bedeuten? Alles hatte sie beachtet. Es war nicht möglich, dass er wusste, dass sie etwas gefressen hat. Unmöglich. Er nähert sich ihr selbstbewusst. Nein, diesmal
nicht. Sie weiss nicht mehr, wie das in Zukunft ertragbar ist. Nur einen Fehler begeht sie nicht: Sie zeigt ihm nicht, dass es ihr reicht. Sie macht sich klein. Er fragt sich, was mit ihr los
ist, warum sie nicht vor Freude auf ihn zukommt. Langsam steht sie auf, tippelt ihm entgegen.
»Da kommt sie ja.»
Von jetzt an dauert alles gerade mal 2 Minuten. Sie stürmt die restlichen 3 Meter auf ihn zu, er erwartet ihre Freude. Sie springt auf ihn hoch. Er fühlt sich wenig angesprochen, freut sich nur,
die Klamotten zu tragen, auf der die Flecken keine Rolle spielen. Ihre Pfoten landen auf seinem Brustkorb, sie reisst gleichzeitig das Fleisch seiner rechten Wange aus dem Gesicht. Er ist
überrascht, überwältigt, reagiert kaum, bevor sie zur nächsten Attacke ansetzt: Das linke Ohr beisst sie ihm ab und lässt es achtlos in den Schlamm fallen. Sie erblickt Bodo, der unbeteiligt aus
seinem Lieblingsplätzchen zusieht. Das spornt sie weiter an, setzt die Pfoten wieder auf der Erde, rennt nach hinten und nützt den Schwung, um ihn umzuwerfen. Zeitgleich mit ihrem Manöver
grübelte er noch, er könne sie erst recht mit seiner Waffe schlagen. Am Boden liegend wird ihm klar, dass dies nicht mehr möglich ist. Er versucht aufzustehen, abzuhauen, da setzt sie wieder an
und beisst ihm mit einem Ruck den linken Unterarm ab. Seine Körpersäfte bedecken einen halben Quadratmeter. Der Eisengeruch lockt den Weissen an, der um den Ort des Geschehens herumschnüffelt.
Seine kreischenden Schreie verebben bis zum nächstgelegenen bewohnten Haus. Unterdessen kommt sie erst so richtig in Fahrt und einen Fuss trennt sie anschliessend ab. Ihr Gehirn teilt ihr mit,
dass es sinnvoll wäre, ihn bewegungsunfähig zu beissen, wenn sie zu überleben gedenkt. Sie entledigt ihn seines zweiten Beines, indem sie grosse Stücke des Oberschenkels zu fassen bekommt. Er
setzt an, wie die Gestalten, die er einst gequält hat, zu winseln. Der Helle kommt näher, inhaliert die, sich in Luft auflösenden Blutlachen, legt los, an ihnen zu lecken. Ein paar
Menschenfleischstücke spürt er auf und erkennt keinen grossen Unterschied zu den Abfällen vom Metzger, die sie manchmal bekommen haben. Die Angreiferin hält kurz inne, sieht die erbärmliche Figur
am Boden an, die ihr einst so wichtig war. Diese vorwurfsvollen Augen lassen das Adrenalin in ihr wieder steigen. Sie galoppiert auf ihn zu und reisst ihm die Sehorgane aus. Er wimmert, wird
immer schwächer. Ein weit entfernter Scheinwerfer lenkt sie ab. Sie hat genug. Sie bemerkt, dass er das Tor nur angelehnt hatte, stemmt sich dagegen. Sie dreht sich kurz nach ihrem
Schicksalsgenossen um, der im «Sich-Vollfressen» vollkommen aufgeht und dann schaut sie nur mehr in die Zukunft.
Virtueller Hut: Du förderts so die Schreibkunst:
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