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Homeoffice

Das verlassene Büro. Alle sind im Homeoffice. Die Quarantäne bringt eigenartige Kreaturen hervor. Keine da. Oder?

Diesen hohen Glaspalast entlang fahre ich mit dem Aufzug nach oben. Wenn er stecken bleibt, wird es kein Einziger mitbekommen. Der Alarm mag zwar in den 52 Stockwerken in sämtlichen Gängen zu hören sein, aber es ist ja niemand da. Alle sind sie zu Hause. Mit ihren Computern oder denen, die sie von der Firma schliesslich bekommen haben. Der Aufzug macht ein sonderbares Geräusch. Ansonsten ist er lautlos. Jetzt scheint er zu jammern. Als hätte er die Kondition verloren, nachdem er für Monate niemanden mehr transportierte.
Im 46. Stock angekommen öffnet sich die Türe mit einem Krächzen. Den Gang sehe ich entlang an dessen Ende sich, wie auf der rechten Seite, eine Glaswand befindet. Alles transparent. Dennoch ist es duster. Es regnet, die Wolken hängen tief. Die Tageszeit lässt sich kaum bestimmen. Es scheint zu dämmern. Es ist jedoch mitten am Tag. Der Teppich ist grau meliert. Praktisch für den Putztrupp. Dass er muffig riecht, ist mir bisher nicht aufgefallen.
  Links reiht sich ein Arbeitsraum an den anderen. Jedem dritten folgt ein Sitzungsraum. Ansonsten hatte ich mich in meinem Büro beobachtet gefühlt. Sie sind alle durch Glaswände getrennt. Das Wetter macht den Eindruck, als hätte es sich nach innen geschlichen. Als würden die Wolken zwischen den Sektionen einen Schleier entwickeln. Im ersten Arbeitszimmer gibt es nichts. Gar nichts. Vor der Quarantäne waren da ein Schreibtisch, ein Kleiderständer, ein Schirmständer, ein Stuhl, ein Regal, ein paar Bilder hingen an der einen Wand. Nun ist der Raum von gähnender Leere erfüllt. Ich höre hinter mir die Türe des Aufzuges zuschnappen. Ein unheimliches Geräusch, das sich anhört, als würde es sagen wollen, dass es das war mit dem Auf- und- Abfahren.
Die zwei nächsten Büroräume waren erwartungsgemäss verwaist, jedoch strahlten sie eine Atmosphäre aus, als wären sie vor kurzem erst verlassen worden: Am Mülleimer klebt der Rest einer Bananenschale, ein feuchter Kaffeefleck ist am äusseren Rand des weissen Tisches des dritten Raumes zu sehen. Erwartungsvoll drehe ich mich in alle Richtungen: Wo ist die Kollegin? Da wird mir bewusst, dass ich keine Erinnerung an sie habe. Ich habe mein Büro nebenan. Eines weiter. Der Meetings- und Seminarraum liegt dazwischen. Dieser, an dem ich vorbeikomme, wirkt belebt: Das Whiteboard ist mit Zahlen der Sitzung bekritzelt, die hier das letzte Mal stattfand. Das Flipchart ist voll von beschriebenen Blättern. Die Handschrift scheint aus einem anderen Jahrhundert zu stammen.
  Ich erreiche „mein“ Büro; oder das Aquarium, das mir zur Verfügung steht. Der Anblick erinnert mich an Perioden, in den da ab und zu jemand vorbeischaute, Zeiten, in denen die Hauptsorge darin bestand, dass der Nine-To-Five-Alltag zu langweilig war. Augenblicklich wird alles überwacht zu Hause. Eine App trackt die Arbeitsschritte. Die Rechtfertigung war, dass es hier im gläsernen Büro anders gelöst gewesen war.
Hm. Auf den Bildschirm hat mir niemand gespäht. Wird im selbst bezahlten Office gearbeitet, wird das gemacht, obwohl ich daheim auf meinem Bett sitze. Der Druck ist gestiegen. Sie zwackten mir die Zeit, die ich nicht mehr benötige, um zur Arbeit zu kommen, auch noch ab. Weil ich hier bin, werde ich heute 2 Stunden länger buckeln müssen.
Bevor ich da reingehe, möchte ich den Gang entlang zum Ende gehen. Bis dahin, wo mein Chef sein Büro hat: Der Eckraum. Er ist nicht nur grösser, sondern verleiht einem den Eindruck, als würde man schweben. Wenn es im frühen Herbst Bodennebel gab, war man hier über den Wolken. Nun ist auch dieses Zimmer in ein abstossendes Grau getaucht. Ich werde das Gefühl nicht los, dass da sonst noch jemand herumschleicht. Ein übler, stechender Geruch von billigstem Parfum hängt in der Luft.
Unterwegs zurück zu meinem Kabäuschen bemerke ich ihn: Ein Schatten huscht weiter vorne hinter ein Regal. Ich schlucke. Wer auch immer hier ist, muss mich gesehen haben. Warum macht sie sich nicht bemerkbar? Die Kolleginnen würden grüssen, der Boss würde schimpfen. Ich werde aufmerksamer. Jeden Regentropfen, der vom Wind an die Scheiben klopft, scheine ich wahrzunehmen. Ich stimme mich auf jegliche Regung ein. Was, und wer zum Teufel ...? Da: wieder eine Bewegung. Langsam setzte ich einen Fuss vor den anderen. Still zu sein fällt mir nicht schwer, der stinkende Teppich dämpft die Ledersohle. Genauestens suche ich jeden Dienstraum unterwegs ab. Das ist simpel. Nicht alle haben Regale oder grosse Schreibtische. An der einen Arbeitsbox, von mir aus gesehen 4 Meter entfernt, vor meinem Büro öffnet sich die Türe abrupt und eine in grellen, orangefarbenen, mit Dreck überzogenen Arbeiterklamotten angekleidete Gestalt grinst mich an. Unwillkürlich verharre ich. Sie scheint das Zögern zu bemerken und zieht die linke Augenbraue nach oben. Ihr Grinsen friert ebenfalls ein. Was tun? Was würde ich in solch einer Lage unternehmen? Die gäbe es sonst nicht, weil hier alle in Kostümchen, oder Anzügen gekleidet sind. Ausser .... . Na ja, ich könnte grüssen.
 
„Morgen.“ Kommt es unvermittelt aus mir heraus.
 
Sie guckt auf die Uhr, schaut fragend drein und antwortet:
 
„Guten Tag. Sie haben wohl auch ein bisschen das Zeitgefühl verloren im Home-Office?“
 
Da fällt es mir auf. Ich hatte ja Mittagessen:
 
„Ja, offenbar." Langsam gehe ich weiter.
 
Das Eis ist scheinbar gebrochen, ich frage:
 
„Kann ich ihnen helfen? Suchen Sie etwas, oder jemanden?“
 
„Nun, ja. Die Suche blieb bisher aber erfolglos.“
 
Ich  bin ihr so nahegekommen, dass ich sehe, wie ihre Augen diabolisch blitzen. Sie schiebt nach:
 
„Aber es sieht so aus, als wurde meine Suche gerade eben beendet.“
 
Kurz frage ich mich, was mit dieser Antwort anzufangen ist, als ich das blutige Messer mit der langen Klinge in der rechten Hand der schnauzbärtigen Gestalt bemerke.

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