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Homeoffice2

Sie starrt es an, dieses blutige Messer. Dass sie die gesuchte Person ist, ist ihr nicht klar. Das hatte ich eingefädelt. Das ist Teil des Konzeptes, des Werkes.

Die muss ja abscheulich wirken, diese Klinge, welche trieft vor rotem Saft. Ich habe es geschärft. Eine Sauerei galt es zu vermeiden. Dann bin ich dennoch mit dem Zeigefinger rangekommen. Fliesst schrecklich viel Blut durch die Fingerkuppe. Sie starrt. Im Grunde ist mir ja egal, was sie denkt. Es reizt mich das Spielchen und daher gehe ich auf ihre Reaktion ein, grinse sie einladend an:

„Musste ich vorher schärfen. Gut durchblutet, so ein Finger. Tja, bin manchmal etwas schusselig.“

Sie legt ihren Kopf schief, zieht die linke Augenbraue nach oben. Mit zitternder Stimme versucht sie, eine Art beginnendes Gespräch aufrecht zu erhalten:

„Ist mir auch schon passiert. Is ne riesen Viecherei.“

Schallendes Lachen: „Genau!“

Sie will wissen, wer ich bin und hier mache.

«Nun, ich bin der Hausmeister und bringe Leute um, die im Homeoffice sitzen sollten.»

Herr Biedermann und seine Brandstifter von Max Frisch gehen mir durch den Kopf, als ich mit lachendem Ton höre:

«Hihi. Ja, genau. Und deshalb zeigen Sie sich mir ja auch, anstatt mir aufzulauern!»

«Warum sollte ich das nicht tun?»

«Na, um keine Zeugin zu haben!»

«Aber wenn Sie tot sind, können Sie eh nicht reden.»

«Hm. Good point.» Kurz scheint sie zu überlegen, zweifelt:

«Aber warum sollten Sie mir dann sagen, dass Sie sich selbst geschnitten haben?»

«Na, weil ich das habe.»

«Ach so.»

Das Gespräch ist bizarr. Ich gehe 2 Schritte auf sie zu, als sie ihre rechte Hand nach vorne vor sich streckt und meint:

«Halt. Aber, was machen Sie dann mit meiner Leiche?»

«Na, auf keinen Fall jedenfalls diese Konversation weiterführen.»

«Aber, wo wollen Sie mich hinbringen? Ich bin schwer!»

Ist ein verzweifelter Versuch, ihrem Schicksal zu entkommen.

«Das schaffe ich schon.»

«Und dann?»

«Löse ich Sie in Salzsäure auf.»

«HA!»

«Naja, warum nicht? Dann sind Sie weg.»

«Und ihr schlechtes Gewissen?»

«Ein «Nicht-vorhandenes-Gewissen» kann nicht schlecht sein.»

«Sie sind also ein gewissenloser Mann?»

Was ist die? Vom FBI, oder wie? Derartig dumme Fragen werden sonst lediglich von Psychologinnen in amerikanischen Serien gestellt. Mir wird’s zu blöd. Mit flotten Schritten gehe ich auf sie zu. Sie labert weiter, das beschleunigt alles. Sie haut ab. Wohin schon! Da hinten ist der Gang bald zu Ende. Ideal, dass dieser Glaspalast von aussen spiegelt, dass hier niemand hereinsieht. Abgesehen davon ist das in dieser Höhe ohnehin eine Herausforderung, wenn man nicht mit einer Drohne oder einem Hubschrauber unterwegs ist.

Sie macht den letzten Schritt nach rückwärts. Es geht nicht weiter. Hinter ihr ist die äussere Glaswand. Ich hebe meinen Arm mit dem Werkzeug und steche zu. Ich treffe nicht gleich das Herz, es werden mehr Stiche. Anders als im Schauerfilmchen ist es nicht locker, durch das dichte Fleisch zu dringen. Ausserdem behindern die Rippen zwischendurch das Messer. Zu dem kommt, dass der Körper langsam erschlafft und ich mich bücken muss, um weiterhin zustechen zu können, was wieder einen höheren Kraftaufwand erfordert, zumal ja die richtige Körperhaltung für einen optimalen Energieverbrauch sorgt. Es spritzt das Blut nicht gleich. Nur wenn ich eine Hauptschlagader treffe.

Sie sieht mich am Anfang überrascht an. Dann bedauernd. Als hätte sie am liebsten zusätzliche Zeit mit mir verbracht. Als sie am Boden zusammengesackt ist, hat sie diesen starren Blick drauf. Einen, wie ihn keine lebende Person vermag zu simulieren.

Es ist klar, dass sie nicht mehr aufstehen wird. Jawohl. Eine überwältigende Art von Erfolgserlebnis durchzieht mich. Ich grinse. Es ist die Art von Motivation, die ich verspüre, wenn ich exakt weiss, dass es kein Zurück gibt, ich mir sicher bin, dass ich durch den Anfang des Werkes etwas losgetreten habe, das unbedingt zu Ende gebracht werden muss.

Ich gehe und hole die Sachen. Darunter sind chemische Putzmittel. Sie sollen es DNA-Analysen unmöglich machen, jegliche Art von Identität zu enthüllen. Zuerst muss die Bürolady in den unteren Gebäudebereich. Ich wickle sie in eine gigantische Plastikfolie zur Vermeidung der Schleifspuren. Trotz meiner Kraft kommt es nicht in Frage, sie bis zum Aufzug zu tragen. Während ich sorgfältig arbeite, mir überlege, wie ich sie am besten drehe und wende, ohne dabei mehr Dreck zu hinterlassen, werde ich langsam kraftloser. Weiter, es muss durchgezogen werden. Der Triumph ist da.

Am Lift angekommen frage ich mich kurz, ob ich bei der Vorgehensweise verweilen und erst später hier oben aufräumen soll, oder ob ich es gleich mache, für den Fall, dass eine weitere verirrte, fleissige Mitarbeiterin kommen sollte.

«Bleib beim Plan.» Spreche ich mit mir. Ja, es ist das Vernünftigere. Es verschwindet zuerst die Leiche, das grösste Beweismaterial. Falls das Blut gefunden wird, dazu keine Person ist die Aufklärung schwieriger als umgekehrt. Im Fahrstuhl angekommen drücke ich auf den Knopf mit der Beschriftung «-2». Ein roter Fingerabdruck bleibt darauf sichtbar. Verdammt. Ich wische darüber. Weg ist er. Gibt es mehr, womit ich nicht gerechnet habe? Die Handschuhe, so habe ich mir überlegt, brauche ich ja nicht, zumal ich ja hier arbeite und ohnehin überall meine persönlichen Spuren sind. Aber mit Blut? Wenn ich nicht alles durchdacht habe, werden mir die letzten Details noch einfallen.

 

Hier in den Tiefen bewege ich mich um die Ecke und komme ich in den Raum unter der Tiefgarage. Er ist leer. In den darüber liegenden Stockwerken gibt es hier die Fluchttreppe. Weiter ins Erdinnere führt sie nicht, sodass hier zusätzlicher Stauraum entstanden ist. Handschuhe. Der Adrenalinrausch schwindet. War es das wert? Was sollte das? Der Rausch hatte von der Planung bis vorhin gedauert. 

«Denk nicht nach, zu spät.»

So ist das mit der Welt: Die Wirtschaft fordert ihre Opfer, der Krieg, die Politik tun es. Warum also nicht auch die Kunst? Sind manche Menschen denn derartig wichtig, dass es rechtzufertigen ist, wenn wegen ihres hohen Energieverbrauchs andere an deren Dreck ersticken?

Ehe der Auflösevorgang einsetzt, zerstückle ich sie. Die Säge ist intakt. Nach einer Sekunde mit der Elektrosäge stellt sich heraus, dass der gesamte Raum verunreinigt ist. Ich kleide ihn penibel mit grossen Mengen an Plastikfolie aus, bevor ich weiter ans Zerkleinern gehe. Die Stücke passen in die, mit Salzsäure gefüllte Wanne. Dass sie nicht vollgefüllt sein durfte, war mir vorher klar, schliesslich hat ein Körper eine gewisse Dichte. Es funktioniert. Der Vorgang dauert. Ich schaue zu. Ich sehe, wie jedes Detail langsam abdampft. Wie hypnotisiert wende ich meine Augen nicht ab. Erst nach einigen Minuten setze ich eine Schutzbrille auf. Es erinnert mich an die Abende als Jugendlicher, als wir auf der Lichtung Feuer gemacht hatten, um Würste zu grillen. Wir hatten hineingestarrt in die Hitze, hatten unsere Blicke nicht woandershin richten können.

Ein Stück ums andere verschwindet. Ich weiss nicht, wie lange es gedauert hat. Es ist mir egal. Selbst wenn der Morgen anbricht, wird niemand kommen. Zeit habe ich im Überfluss. Das hatte ich immer haben wollen. Ich gehe die Nacharbeiten an. Stop: Erst im oberen Stockwerk klar Schiff machen. Da fällt mir ein, dass die Forensik nur ein winziges Fäserchen bräuchte, um Blut nachweisen zu können. Ich zittere, zweifle. Angst. Wieso sollten sie da oben suchen? Ich putze. Exakt. Wieder. Nochmal. Ist Sonnenuntergang? Wenn ja: Des nächsten Tages? Oder des Übernächsten? Die Erschöpfung überspiele ich. Essen will ich nicht, trinken nicht. Die Toilettengänge hielten mich nur auf. Es würde mich schrecklich nervös machen, nicht zu wissen, was abgegangen sein würde, während ich meinen menschlichen Bedürfnissen nachgegangen wäre.

Oben ist alles fertig. Es heisst unten wischen. Putzen. Reiben. Obwohl: In den Raum kommt niemand. Ich könnte ausgeschlafen wiederkommen. Negativ. Es hat gleich erledigt zu werden.

Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit lasse ich mich mit der Wand im Rücken auf den Boden im zweiten Untergeschoss sinken. Uff. Umgesetzt Nein! Ich muss aufstehen, bevor ich wegknicke und die Putzmittelverpackungen entsorgen. Ich werde zum Fluss latschen, sie mit Sand befüllen und versenken.

Fertig. Alles perfekt abgewickelt, organisiert. Nichts wird auf mich hindeuten. Ich werde sagen, dass ich im Bürokomplex geputzt habe, was ja der Wahrheit entspricht. Niemand wird es hinterfragen. Hierarchisch tiefstehende Hausmeister werden nicht beachtet. Dann werde ich müde in die Federn gefallen sein.

Der Morgen graut. Immer noch weiss ich nicht der Wievielte nach der Tat. Ich drehe mich um. Die Stadt hatte hier vor 70 Jahren den Fluss in ein Bett gelegt. In den 1980ern waren hier Drogenpartys. Es ging mir durch den Kopf, dass die Heroinsüchtigen teilweise noch in ihren Methadonbehandlungen sind. Überwachung war Teil der Lösung des Problems. Ein Gedanke gibt den anderen, als ich mich umdrehe und in die Kamera starre, die zum Ufer zeigt, an dem ich eben beschäftigt war.

 

Virtueller Hut: Du förderts so die Schreibkunst:

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Velizar Ivanov: https://unsplash.com/@lycan
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