Ich kann den triefend nassen Fetzen von meinem Gesicht nicht entfernen. Ich drohe zu ersticken, während die ohrenbetäubende Musik mich halb wahnsinnig macht. Knapp
bevor ich denke, das Bewusstsein zu verlieren, wird mir vom hereinkriechenden Feuer so heiss, dass die Härchen der Unterarme schon einen Geruch von verbranntem Talg absondern. In innerhalb
kürzester Zeit schwitze ich so, dass ich bald nicht mehr stehen kann im H2O, in meinem Schweiss und weil ich mich nirgends festhalten kann, glaube ich gleich zu ertrinken. Ich kann nicht
schwimmen. Ich tauche ab, ziehe den Stöpsel und die Flüssigkeit rinnt ab, derweil von der Decke Säure zu tröpfeln ansetzt, die das restliche Wasser zu einer brennenden Suppe macht, ein
Flüssigkeitsgemisch, das die Haut meiner Füsse aufätzt, während einige Tropfen auf meinen Schultern und meinem Denkapparat landen, um dort offene Wunden zu hinterlassen. Es überfordert und ich
verliere langsam das Bewusstsein. Der Kopf schwer an. Wie eine Fledermaus hänge ich von der Decke, die Füsse mit einer Kette zusammengebunden. Ich nicke weg. Ich wache wieder auf. Ein Zustand
zwischen Aufwachen und Bewusstlosigkeit. Ich erwache.
Uff. Ein Traum. Ich torkle ins Bad. Die Reflexion zeigt ein völlig übermüdetes Gesicht. Es trägt Spuren von Verwirrtheit, die mich während der letzten Monate heimsuchte. Dieser Zustand und das
Finden von Ordnung haben dafür gesorgt, dass die Frau, die aus dem Spiegel schaut, eine andere ist, als die, die die Davorstehende vor einigen Monaten war. Mein Leben wurde auf den Kopf gestellt.
Vieles, ja obendrein fast alles ist wesentlich besser als davor. Meine Familie vermisse ich trotzdem: Den kleinen, tollpatschigen Bruder, die sanfte Mutter. Zu gerne würde ich ihnen aus ihrem
Elend helfen. Aus heutiger Perspektive wüsste ich überdies wie. Aber der Weg zurück ist für immer abgeschnitten. Die Missbräuche und Vergewaltigungen meines Vaters kann ich benennen, kann damit
umgehen, ich habe meinen Weg gefunden. Die jetzige Sicht erlaub es sogar, ihm Dank zu schulden. Dank für das, was ich von ihm gelernt habe. Alle anderen im Dorf waren simple Bauern, die nur das
taten, was ihre Väter getan hatten, ohne jeglicher Hoffnung den unterdrückenden Geldeintreibern, die die Abgaben willkürlich erhöhten, jemals zu entkommen. Er aber hatte die Chance ergriffen
gehabt, für die mächtigste Institution zu arbeiten. Er hatte sein Handwerk verfeinert, es ständig weiterentwickelt. Die Nachfrage war gross gewesen.
Oft war ich auf einem Holzhocker dicht an der Türe zur Wohnküche gesessen, in der er abends gearbeitet hatte, um zu erspähen, was er da genau machte. Schlafend hatte er mich geglaubt. Meine
Neugierde war so gross gewesen, dass ich seinem sexuellen Trieb nicht entkommen hatte können. Mein kleiner Bruder war dabei in seinem Bettchen gelegen. Hatte gedacht, dass er sich aus der
Situation erstarren könne, wenn er nur das Verhalten eines Steines annahm, die Decke über den Kopf ziehen würde. Er war ja klein gewesen. Sodass nicht auch er noch der Freude für Gewalt meines
Vaters ausgesetzt sein musste, hatte ich ihm erklärt, dass das schon alles nicht so dramatisch sei. Hatte ihn beschwichtigt damit, dass das nun mal so wäre.
Sogar bei Diskussionen mit seinen Auftraggebern konnte ich dem Ehemann meiner Mutter lauschen. Da hatte ich mitbekommen, was die gewollt hatten von ihm. Im Weiteren war aus einem Gespräch klar
hervorgegangen, was funktioniert hatte und was nicht. Mein fotografisches Gedächtnis hatte dafür gesorgt, dass ich mir bis an diesem Tag alle Einzelheiten merken kann.
Heute wird es so weit sein. Ich werde meinen Auftraggeberinnen gegenübertreten. Ich werde ihnen erklären, was sich bewährt hat und was nicht. Mein Wissen ist einzigartig. Keine bekannte Person
auf der Welt verfügt hierüber. Keine Schule, keine Universität, niemand die es ausbildet. Es gibt zwar einige wenige Aufzeichnungen darüber, diese sind verschlossen in den Archiven des Vatikans.
Kaum jemand hat Zugang. Schon gar nicht meine neuen Beauftragenden: Die Offizierinnen der Vereinigten Staaten von Amerika. Ja, genau diese sind es, mit denen ich mich heute treffen darf. Niemals
wäre das zu Hause jemals möglich gewesen. Für meinen Bruder vielleicht, hätte er sich für die technischen Fähigkeiten unseres Vaters interessiert. Hat er jedoch nicht. Zu weich war er. Eher wie
Mutter. Das bringt Vorteile. Bestimmt wird er eine Ehefrau finden, die eben dies zu schätzen weiss. Aber ich? Als Frau? Höchstens als Versuchskaninchen für diese Geräte hätte ich herhalten
können. Naturgemäss nur einmal.
Die USA sind für mich genauso ein Wunder der Menschheit, wie die Europäische Union, die vereinten arabischen Emirate, oder Australien. Die einzelnen Menschen, Leute wie ich, können auf die hinaus
gehen, demonstrieren, sich teilweise für ihre Entscheidungsträgerinnen gemeinsam entscheiden. Sie können sich zusammentun, zu Veränderungen, zu einer besseren Welt beitragen. Als ich hierher kam,
war alles völlig verwirrend. Instinktiv setzte ich mich auf die Strasse, um nicht aufzufallen, um mal nur zu beobachten. Das funktionierte eine Zeit lang. Niemand beachtete mich. Manchmal rümpfte
jemand die Nase, andere Leute gaben mir Münzen und schauten mich mitleidig an. Alles kennenzulernen, wie ein Baby in einem Erwachsenenkörper, war schon eine grosse Herausforderung. Sogar die
Sprache war so anderweitig, dass ich am Anfang erst mal so tat, als wäre ich taubstumm, weil ich Angst hatte, man würde mich gleich als Irre titulieren und hängen. Dann waren da diese Gerüche:
Befremdliche, blütenartige Fahnen wehten hinter den Männern her. Geschöpfe, die in meiner Welt als Frauen durchgegangen wären. Die Monster auf Rädern machten mir Angst, ihre röhrenden Motoren
erschreckten aber nur mich. Ich spürte am Asphalt sitzend in dieser Grossstadt nicht mal die Kälte, weil Dämpfe einer Wäscherei hinter mir herauswehten, die mich wärmten. Die Zivilisation scheint
die Feuchtigkeit aus der Luft gesaugt zu haben. Anders war das bei uns: Ständig mussten wir darauf gefasst sein, dass uns am nächsten Tag eine Malariamücke des nahe gelegenen Sumpfgebietes
umbringen könnte.
Aber ich lernte schnell: Über Geschichte, was die Kultur macht und wie, von neuen Technologien, der Gesellschaft. Ich begann meine neuen Freiheiten schätzen zu lernen, war zugleich schockiert
darüber, wie wenig trotz der besten Voraussetzungen viele Menschen wussten. Dann entwickelte ich wieder Verständnis dafür, weil mich die Menge an Möglichkeiten und Informationen überwältigte. An
manchen Tagen wollte ich schreien und alle umarmen, an anderen mich nur mehr verkriechen. Aber ich schaffte so etwas wie eine Integration. Keine Menschenseele wollte mir glauben, wo ich herkam.
Bald gab ich auf, die Wahrheit zu erzählen. Die interessierte ohnehin niemanden.
Das letzte Mal, als ich sie dem Typen erzählt hatte, der mir diese neue Identität verkauft hatte, indem er mir einen angepassten Pass besorgte, hörte sich das in etwa so an:
„Hahahahahahahahahah.“
Dann rannen ihm Tränen über seine, mit Pickeln und Mitessern übersäten Wangen. Daraufhin schob er nach:
„Und da haben Sie nichts mitgebracht?“
Mir war in dem Moment nicht klar, dass diese Frage mich denunzieren sollte, so antwortete ich ordnungsgemäss:
„Wie hätte ich denn das machen sollen? Schliesslich war ich ja nicht gefragt worden. Es geschah einfach so. Spontan. Niemand hatte mich davor, oder danach aufgeklärt.“
„Schon gut. Lassen wir das. Beweise werden Sie natürlich nicht haben.“
„Was heisst Beweise. Sie haben mein Wort. Alle wollen immer nur alles nachgewiesen haben. Kein Vertrauen. Ich habe ihnen ja schon gesagt, dass die Maschine zerstört wurde und die Explosion so
gross war, dass sie das ganze Labor mitgerissen hatte mit all den Aufzeichnungen und Wissenschaftlerinnen, die daran gearbeitet hatten.“
„Die Zeitmaschine ist also ausgerechnet hier und in unserer Zeit kaputt gegangen.“
„Nein, vor einigen Monden, äh, Monaten, 11 um genau zu sein. Und es war auch nicht hier, sondern in Europa, im Nordosten.“
„Ja, natürlich. Daher ja Ihr Akzent. Hören Sie, es ist ok. Ich habe schon so viele Geschichten gehört. Ich brauche keine Erklärung.“ Dabei zog er die linke Augenbraue gleichzeitig mit dem
Mundwinkel derselben Gesichtshälfte nach oben.
Da mein Akzent aus dem Mittelalter kommt, wollte ich ohnehin in ein anderes Land. So würde ich damit nicht auffallen. Ich lernte die grosse, mächtige Sprache und verschanzte mich auf einem
Lebensmittelfrachter. Das mit den Flugzeugen war mir zu unheimlich gewesen und ausserdem hatte ich ja keine Papiere und nur das bisschen erbettelte Geld. Es machte mir nichts aus, schliesslich
war ich unter härteren Bedingungen aufgewachsen.
Meine Bescheidenheit schwand nach und nach und vom Betteln alleine wollte ich nicht mehr leben. Am Anfang war ich fasziniert davon, dass ich alles und noch mehr damit bekommen konnte. Ich
verglich mich mit anderen, so wie das Menschen eben tun: Ich wollte ebenfalls eine selbstbewusste Frau sein. Daher schnitt ich mein dichtes, haselnussbraunes Haar zu einer praktischen
Kurzhaarfrisur. Im Mittelalter wäre ich dafür geächtet worden, jetzt werde ich eher bewundert, weil sie mir gut steht. Schlank bin ich wegen unseres ständigen Hungers ohnehin. Der Versuch
zuzunehmen, wurde durch die Erkenntnis unterbrochen, dass der füllige Körper nicht nur kein Schönheitsideal mehr ist, sondern schlimmer: ... er ungesund ist. Einen Job brauchte ich. Ich schaute
mich um. Was konnte ich schon? Meiner Mutter hatte ich ja zugeschaut, es ist die Antwort: Kochen. Paradoxerweise wird dies aber von Frauen nicht ernst genommen. Männer sind im 21. Jahrhundert die
Chefs in den Küchen. Zudem komme ich mit all diesen neuartigen Gewürzen nicht zurecht. Sogar andere Tiere werden geschlachtet und verarbeitet.
Als Kindermädchen versuchte ich mich. Schliesslich bin ich ja eine Frau und hatte durch mein Brüderchen Erfahrung. Das brachte mir Verfolgung ein: Zu brutal angeblich. Ja, wie käme denn lernen
zustande, wenn’s nicht weh tut? Die Mutter selbst hatte gesagt, ich solle das freche Kerlchen bestrafen, sofern es weiter Albernheiten macht. Dass es erstens nicht als Mätzchen gilt, wenn mich
der Sohn anschrie, war die eine Sache und die andere, dass sie davon ausging, dass Handyverbot eine Strafe wäre.
Na ja, alles begreife ich in diesem neuen Zeitalter noch nicht. Die Heuchelei ist so ein Beispiel. Da halten sie sich Viecher zu Hause, sogar im Schlafzimmer und in ihren eigenen Betten, welche
Essen vom Feinsten von ihren Tischen bekommen, Lebewesen die nicht mal als Suppenfleisch, oder Wachhund benützt werden, babbeln vom Tierschutz und dann kaufen sie billigstes Fleisch, von dem sie
genau wissen, dass es ein gequältes Tier war, als es lebte. Zudem sprechen sie öffentlich von Menschenrechten und richten dennoch Leute hin. Dieser neue amerikanische Staat, auf einem Boden, von
dem in meinem Zeitalter niemand in meiner Region wusste, geht mit dieser Art von Heuchelei mit gutem Beispiel voran.
Genau hier konnte ich aber ansetzen und einen Job bekommen. Es ist so weit. Ich treffe sie, die hohe Lady des Militärs. Meine Nervosität ist gross. Es wäre ein Leichtes mich verschwinden zu
lassen, genauso wie sie es mit vielen anderen Widersacherinnen vor mir getan hatten. In ihren heissen Wüsten verscharrt, oder in Salzsäure aufgelöst. Niemand würde mich suchen, eine
Vermisstenanzeige aufgeben. Trotzdem: Ich bin mir meiner Fähigkeiten bewusst. Sie werden sie lieben. Den Job habe ich ja schon. Die Gespräche führte ich vor ein paar Wochen mit einer Vertreterin
in Europa. Bestimmt observieren sie mich seitdem. Das ist nur recht so. So wissen sie, dass ich nichts zu verbergen habe. Jedenfalls nicht in dieser Zeit.
Der Vorraum ist kahl. Ich sitze auf einem harten Stuhl. Es gibt keine Fenster. Durch eine dicke Betontüre sind wir hier hereingekommen. Sie ist im Fels kaum als derlei zu erkennen. Das Licht der
Neonröhren ober mir flackert. Es stehen andere solcher grauer Metallstühle herum. Auf kleinen Beistelltischen gibt es Zeitschriften über Flugzeuge, Panzer und die US-Armee. An den unverputzten,
kahlen Betonwänden hängen Fotos von hohen Militärtieren. Gegenüber des mächtigen Tores, durch das wir aus der heissen, staubtrockenen, unbewohnten Wüste gekommen sind, ist eine weitere Türe:
Stahl, einfach, grau. Durch ihre Ritzen dringt Licht. Es riecht nach Beton und Staub. Der Schatten hier drin sorgt dafür, dass sich die Hitze etwas weniger drückend anfühlt. Sandkörner, die mir
der hartnäckige Wind draussen auf die Lippen geweht hatte, knistern zwischen meinen Zähnen, der den Eisengeschmack in meinem Mund zu verstärken scheint.
Es öffnet sich die schwere Türe, die weiter ins Berginnere führt. Eine Nachfahrin der Opfer des ehemaligen Sklavenhandels begrüsst mich mit einem kühlen Lächeln:
„Guten Morgen Frau Kowalski.“
„Guten Morgen Frau Smith.“
„Schön, dass sie hier sind.“
„Ja.“
„Nun, dass wir praktisch nichts über ihre Vergangenheit herausfinden konnten ist einerseits gut für den Job, weil es offenbar auch keine Vergangenheit, sowie Angehörige gibt, an denen Sie hängen,
gleichzeitig muss ich gestehen, dass es mich schon neugierig macht.“
„Ich denke nicht, dass sich die Kundinnen dafür interessieren.“
„Bestechende Logik.“
Kurz ist es still. Ich habe ja nichts zu verlieren, nütze die Gelegenheit für Eigenwerbung:
„Hören Sie, ich versichere Ihnen hiermit nochmal die Richtige für den Job zu sein. Aus meiner Vergangenheit, der genauen Beschäftigung mit dem Mittelalter, dem mich empathischen
„Damit-Auseinandersetzen“, kam ich auf all die Erfahrungen. Hier habe ich mich spezialisiert. Auf die damals benützte Technologie. Ich werde ihren Anforderungen entsprechen, ich garantiere es.
Mein Vater, ich meine, der Protagonist in dem Buch, das ich genauestens studiert habe, hat für die katholische Kirche gearbeitet.“
„Ja, die Inquisition ist wohl die perfekte Quelle für die Foltermethoden, die Sie hier einsetzen können. Hier in Guantanamo haben Sie den richtigen Ort gefunden.“
„Ja, ich weiss.“
Virtueller Hut: Du förderts so die Schreibkunst:
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R. Burgstaller (Montag, 31 Januar 2022 19:16)
Ja so eine gute mittelalterliche Folterung ist sicher was feines für die Militärs :-)
Sehr spannend geschrieben! Weiter so!
VG R.
Q (Dienstag, 08 Februar 2022 17:57)
Daaaanke!!!! :—)