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Osterthriller

Im Gegensatz zu meinen Kolleginnen habe ich die Flucht rechtzeitig geschafft. Zwar entkomme ich dem Raum nicht, in dem die einfallenden Sonnenstrahlen bizarre Muster in den umherschwirrenden Dreck zeichnen, aber es gelang mir, aus dem Käfig zu fliehen. Ich kauere in einer Ecke und sehe dem Grauen zu. Die Peinigenden können mich nicht erblicken. Wir sind ihnen so egal, dass sie den Unterschied zwischen mir und den anderen nicht bemerken. Sie erkennen nicht, dass es eine weniger sind. Ich bin einen Schritt weiter. Bei der künftigen Gelegenheit verlasse ich diesen Raum. Er ist stickig, modrig. Durch die Ritzen inmitten von den Holzbalken, aus denen der Verschlag gebaut worden war, dringt am späten Nachmittag Sonnenlicht. Kurz bevor die Sonne danach hinter den Berggipfeln sich endgültig bis zum nächsten Tag verabschiedet und erst Schatten und dann Nebel zurücklässt. Darin tanzen die Staubpartikel, die sich täglich zu vermehren scheinen. Ich halte die Luft an, wenn ich dieses Schauspiel wahrnehme, weil ich mir die Lungen nicht versauen möchte. Mit meinem Unterleib ist es passiert: Immer wieder diese Vergewaltigungen.

Ich sehe dabei zu, wie es meinen Kolleginnen nach wie vor so ergeht. Sie sind mir mit der Zeit ans Herz gewachsen. Extremsituationen schweissen zusammen. Manchmal haben wir uns dazwischen gestellt, um den Akt hinauszögern zu können. Es ist zu einem Fangenspiel mutiert. In dieser Situation frage ich mich, was verwerflicher ist: Das tatenlose, hilflose Zusehen, oder das Teilen der Opferrolle und des Leides.

Nachts, wenn alles friedlich scheint, und sich die grossen Bösewichte zurückgezogen haben, komme ich aus dem Versteck und sammle Essensreste zusammen. Achtlos fallengelassen beim lieblosen Hineinwerfen. Ein Überleben wird ermöglicht. Mein Ziel ist jedoch das Leben. Draussen in der Natur. Dort wäre ich ebenfalls zahlreichen Gefahren ausgesetzt. Lieber kurz lebendig sein, als lang standhalten. Ich werde jede Menge lernen müssen, schliesslich bin ich in Gefangenschaft gross geworden und das da hinter dem Holztor kenne ich von Erzählungen.


Wie meine Eltern, wurde obendrein mir mein Nachwuchs weggenommen. Alle. Im Weiteren der, der anderen. Überhaupt gibt es diese sexuellen Übergriffe lediglich zu diesem Zweck. Intensiv und häufig sind sie, weil der Herr der Schöpfung libidinös ausgehungert wird, um sich uns alle vornehmen zu können. Er ist ein Spielball des Systems.
Gerade schleiche ich mich im Morgengrauen wieder in mein Versteck zurück, als das Tor aufgeht. Einer der Kerle, der uns immer unsere Kleinen sofort wegnimmt, wird von dem anderen hineingedrückt. Der Hineingestossene ist kärglicher, schlank und schmächtig. Dass sein T-Shirt beim Sturz auf den Boden mit altem Kot, vergammelten Lebensmitteln und Sägespänen dreckiger wird, fällt nicht auf. Es muss einst weiss gewesen sein. Seine Zähne sind genauso ungepflegt wie sein Bart, was den stechenden Geruch erklärt, der von ihm ausgeht, der sich im Raum eine Stunde lang absetzt, nachdem er hier war. Der, der den jungen, mit seiner hellbraunen, halblanger Behaarung harmlos ausschauenden hineintritt, hat zwar ähnliche Gesichtszüge, ist hingegen breiter, betagter, grösser. Sein dichteres Haar am Kopf und im Gesicht verleiht ihm umso mehr Autorität, als die Art, wie er den anderen vor sich hertreibt. Jeans tragen sie alle beide. Der Schwächere eine simple, ausgewaschene Sorte, der Ältere eine Latzhose, unter der ein langärmliges, Durchschnittsshirt kaum auffällt. Harmlos ist sie, seine Kleidung, die täuscht, weniger milde fällt sein Ton aus:

«Du hast grade diese eine Aufgabe, du Idiot!»
«Ich weiss, ich weiss, es tut mir leid.» Wimmert der Schmalzjunge.
«Nur zählen und dafür sorgen, dass keine entkommt.»
Oje. Sie wissen es. Was nun? Konzentration. In dieses Eck hatten sie bisher nie geschaut. Sie konzentrieren sich immer alle auf den Käfig.
«Das ist nun mal unser Geschäft du unfähiger Bub.»
«Ja, klar. Dad.»
Auf diese Art tituliert er ihn, wenn er seine Augen verdreht. Von meiner Perspektive sehe ich aber lediglich seinen Hintern, den er wieder mit seinen Bauernpfoten nach oben stemmt. Ansonsten, an Tagen mit ruhigerer Stimmung, nennt er ihn respektvoll Vater, der nachlegt:
«Zählen, einsammeln. Erst wenn du fertig bist, und erneut alles unter Kontrolle hast, kommst du wieder ins Haus.»
Dort werden sie verarbeitet, was immer das heisst, um dann weiterverkauft zu werden, unsere Süssen.
Meine Hoffnung schwindet, von hier wegzukommen. Vorher, als sich das Tor öffnete, erspähte ich einen Pick-up. Das Besondere an der Sache ist, dass er nahe war. Da stand er im Allgemeinen nie. Ich täte mir leicht, mich in den Laderaum zu werfen, mich dort zu verstecken und dann an einem anderen Ort, weit weg von hier, wieder hinab zu steigen. Wenn der Fahrer gleichzeitig am Einkaufen sein würde, oder sonst was zu erledigen hätte. In meinem beschissenen Zustand da rauf zu kommen wird eine Herausforderung. Womöglich hilft mir meine negative Motivation. Diese habe ich. Oft ist es erträglich. Besondres desaströs ist es einmal jährlich. Jetzt ist wieder Hochsaison. Speziell meine Sorte, braun bis dunkelbraun meliert tut, was sie kann, aber wird am meisten diskriminiert. Den Babys, die es schaffen, geht es genauso an den Kragen. Von allen. Immer. Die Mädchen werden das gleiche Schicksal erleiden wie wir und die Jungs werden umgebracht. Weil es zu aufwändig wäre, die Buben einzeln zu töten, werden sie zusammengeworfen und ersticken in einem grossen Kunststoffcontainer, aus dem es kein Entkommen gibt. Meine hellen Kolleginnen, die die weissen Eier legen, sind zwar im Frühling beliebt, aber schwächer.

pic by: john-towner-0uN9iF4mgDI-unsplash
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