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Strandleiche

Alex              Biologe
Clarissa        Ernährungswissenschaftlerin, Skeptikerin
Mike             Tischler, Pragmatiker
Daniela        Sportlerin, schweigsam
Sarah           Praktikantin
Armand        Leiche

 

Das spazierende Grüppchen hält irritiert inne. Was es sieht, scheint sich nicht mit dem, was in der Gegend üblich ist zu decken. Knochen, fleischlose Schädel sind der Alltag. Von der Gruppe abgezwackt, ist ein Schaf oder eine Ziege dem Tod geweiht. Alleine treibt es sich herum und grast, bis es orientierungslos zu Grunde geht. Die Reste hinterlassen einen scheusslichen Geruch verrottenden Fleisches. Ausser dickem Seegras ist am fünf Kilometer langen Strand kaum eine Menschenseele zu sehen. Vom Ozean abgewandt bildet ungebändigt wucherndes Gestrüpp eine visuelle Barriere zu den, dahinter liegenden Feldern. Der Sturm verursacht zusammen mit den Strommasten bizarre Flöt-Dröhn-Klopfgeräusche, welche sich mit dem Rauschen des herandonnernden Meeres mischen. Die strömenden Luftmassen lassen die Gerüche von, sich im Seegras verfaulenden Meerestieren und feuchtem Sand und mit Kunstdünger versehener Erde abwechseln.
Was hier hervorguckt, weckt die Neugierde der Wandernden. Zwischen dem dichten Grünzeug und den verrottenden Meerespflanzen schaut ein Stiefel hervor. Soweit nicht verwunderlich, zumal es genügend Kunststoffmüll verstreut gibt, der hier angeschwemmt wird, wäre er nicht in verhältnismässig einwandfreiem Zustand, aufgefüllt und würden aus ihm nicht jede Menge winziger, weisser Würmchen kriechen.
«Maden,» wagt der frisch gebackene Biologe inmitten von ihnen die erste Erklärung:

«Es sind Fleischmaden.»

«Aus einem Stiefel?» Zweifelt die Skeptikerin.
Der Sportlichste tritt schon näher und meint:

«Hier ist noch mehr.»
 Die vier schauen sich mit geweiteten Sehorganen an und werden ebenfalls von der Neugierde vorangetrieben.
Der Tischler unter ihnen hat die schärfsten Augen und daher stellt er Folgendes fest:

«Hier, seht mal. Das ist ein Mensch. Eine Leiche.»

«Papallapap.» Kommt spontan aus der Ernährungswissenschaftlerin.
Sie hat die Angewohnheit grundsätzlich erst mal zu widersprechen, bis sie durch Beweise überzeugt wird. Diese lassen nicht lange auf sich warten, da kreischt Alex, der Biologe:

«Arme, abgefressene Finger.»
Sarah, die Vierte im Bunde beobachtet nur. 
Weil Clarissa, die junge Dame, die nach ihren Auslandserfahrungen gerne Ernährungsberaterin werden möchte, sieht, was eben ausgerufen wurde, trägt sie bei:

«Ach du Scheisse!» Dabei legt sie ihre Hände auf ihren Kopf direkt hinter die Schläfen. 
 Mike, der Schreiner, setzt an, mit seinen dicken Lederschuhen im Dreck zu fischen, und schaufelt so einen Teil des Körpers frei. Der Gestank intensiviert sich. Verfaultes Fleisch. Die schweigsame Sportlerin Daniela, Sarah und Alex kommen Mike zu Hilfe und gemeinsam fangen sie an, mit ihren Füssen vorsichtig zu wühlen. Als sie den Kopf freigeschaufelt haben, brüllt Sarah:

»Armand. Oh mein Gott, Armand ist tot!»

Alle sind sich einig. Es ist ihr ehemaliger Kollege Armand. Der Franzose war nach seinem Bachelorstudium ebenfalls hierher gekommen, um für Kost und Logis freiwillig zu arbeiten. Die Motive der Kolleginnen sind edler: Ihr Ziel ist es, etwas Positives zur Umwelt beitragen, streben es an, dazuzulernen, um ihre neu gewonnenen, praktischen Fähigkeiten in einen Betrieb einzubringen. Armand war es nur wichtig Kenntnisse für sich zu erwerben. Er wollte wissen, wie er sich selbst günstig ein Wohnmobil ausbaut. 

«Was, oder wer hat seine Pläne durchkreuzt?» Grübelt Sarah laut vor sich hin.
Es schaltet sich Daniela ein:

«Hm. Mit dem Sport hat er wieder etwas angefangen. Seine Sportlichkeit war ja schon sehr zurückgeblieben.
«Der unsportliche, gesellige Mike wird los:

«Seht nur, man kann gut sehen, dass er sich zum Schluss so viel hineingestopft hat. Er ist fett wie ein Seelöwe. Wahrscheinlich konnte er sich einfach nicht mehr bewegen.»

«Das Wasser hat ihn aufgeschwemmt. Hier zeigen die Spuren im Sand, dass länger ein Bächlein in der nassen Winterzeit durchgegangen ist.» Ist Alex bemüht sachlich zu bleiben.
Der Gefundene hat sich zu Lebzeiten niemandem gegenüber geöffnet. Er kümmerte sich um sein eigenes Ding, ohne Rücksicht auf die Pläne seiner Mitmenschen. Zwar war er exorbitant extrovertiert, hat es aber immer vermieden, direkt über sich selbst zu sprechen. Er bevorzugte es, andere zu beleidigen. So kam es, dass sein plötzlicher Abgang nicht weiter verwunderte und ihn niemand vermisste. Er hätte zusätzlich 4 Wochen mit dabei sein sollen, anschliessend weiterreisen und langsam die Heimreise auf dem Landweg antreten. Er hat aber verdeutlicht, was er von dem Ganzen hielt, nämlich nichts. Er verbreitete missmutige Stimmung, war ungesellig, distanzierte sich. Sarah forderte einmal auf, zu wissen, warum er so überdimensioniert frass und offenbar antwortete er völlig ausser sich:

«Wir arbeiten für die gratis. Wir sind doch keine Sklaven! Ich werde ALLES essen, was verfügbar ist. Sie sollen finanziell bluten, diese Arschlöcher. Wenn sie schon zu geizig sind uns zu bezahlen, will ich, dass sie mit dem Essen mindestens so viel ausgeben müssen. Helft mir, um Derartiges was in Zukunft zu verhindern!»

«Mir gefällt es hier. Woanders müsste ich für einen Kurs bezahlen. Mir wird viel erklärt. Zudem wäre es mir unmöglich, mit einem bezahlten Job den Benefit einer exklusiven Segelkreuzfahrt, die wir bekommen, zu finanzieren.» Clarissa legte auf die Entgegnung von Sarah einen drauf:

«Mir würde schon alleine die Erfahrung genügen. Wir arbeiten ja nicht Vollzeit. Wir haben Spass in der Freizeit, können unser Essen aussuchen.»

«Da ist ja kaum Freizeit! Ich muss selbst beim Kochen helfen, mein Zimmer putzen, mich am Aufräumen der gemeinsam benützten Räume beteiligen!» Raunzte Armand. Mike, pragmatisch wie immer hatte eine konkretere Frage dazu:

«Hast du zu Hause denn einen Koch? … eine Putzperson? Putzt dir jemand den Hintern?»

«Nein, aber es ist ja auch meine Wohnung daheim!»

«Hm. Und du verursachst hier keinen Dreck, frisst kein Abendessen?»

«Das bisschen Abfall! Ich muss ja für alle sauber machen!»

«Nun, die anderen putzen und kochen auch für dich! Das heisst Team-Work.»

»Klugscheisser.»

«Für mich», so ergänzte Daniela, «sieht es nicht nach Teamwork aus, was du hier veranstaltest. WIR räumen dir immer hinterher!»

«Ach lasst mich doch ihn Ruhe. Ihr werdet schon sehen, wohin das führt. Teamwork ist nötig, um gegen die Meute vorzugehen.»

In dieser Sekunde hat er seinen Frieden. Den Narzissten in Reinkultur mochte niemand, gleichwohl war der Hass nicht gross genug, um ihm den Tod zu wünschen. Ausserdem wäre er ohnehin freiwillig bald weg gewesen.
 Sarah tritt näher, betrachtet den, inzwischen von Insekten, wie Krebschen gleichermassen bewohnten Leichnam genauer und grübelt:

«Der war doch jung? Sportlich, gesund. Wieso?»

«Na ja, er hatte in innerhalb kürzester Zeit so viel gefressen, dass er gar nicht mehr gut aussah.» Bemerkt Clarissa und fügt hinzu:

«Es besteht sogar ein viel höheres Herzinfarktrisiko für Menschen, die ihren Lebensstil radikal ändern. Das gilt für Leute, die vorher fett waren und plötzlich sportlich werden genauso, wie umgekehrt.»
Alex schliesst sich an:

«Ja, das Ganze sieht tatsächlich nach Herzinfarkt aus.»

Mike:

»Tod durch Narzissmus.»

Daniela:


»Tod durch Überanstrengung.»

Clarissa:

»Tod durch Überfressen.»

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